Kulturbüro Elisabeth Berlin
Kultur Raum geben

Boulangerie - Weinberg X Nemtsov

Dienstag, 8. März 2022

19 Uhr 
3G + FFP2-Maske

Villa Elisabeth
Trio Boulanger (Foto: Steven Haberland)

MUSIK, WEIN UND GESPRÄCHE Die in Berlin und Hamburg etablierte, erfolgreiche Konzertreihe des Boulanger Trios verbindet seit 2012 Konzert und Salon miteinander. Konzipiert als Hommage an Nadia Boulanger (1887-1979) und ihre legendären Pariser Salons, schlägt das Trio mit der „Boulangerie“ eine Brücke zwischen zeitgenössischer Musik und Werken des klassisch-romantischen Repertoires. Jede Veranstaltung ist Komponist*innen der Gegenwart gewidmet, die während des Konzerts anwesend sind und mit den drei Musikerinnen über ihr Schaffen sprechen – im Zentrum steht nicht die musikwissenschaftliche Analyse der Werke, sondern ein persönliches Gespräch über die Musik.

Programm: 

Franz Schubert: 
Adagio Es-Dur für Klavier, Violine und Violoncello, D 897 (“Notturno”)

Mieczyslaw Weinberg (1919-1996): 
Klaviertrio op.24

Gespräch Sarah Nemtsov, Komponistin und Boulanger Trio

Sarah Nemtsov (1980): 
[love] (aus: PHONEME)

Mit dem Boulanger Trio: Karla Haltenwanger, Klavier | Birgit Erz, Violine | Ilona Kindt, Violoncello
und Sarah Nemtsov, Komponistin

Tickets: 20 €/ erm. 12 € (Schüler:innen, Studierende, Azubis, Berlin-Pass)
Online via www.elisabeth.berlin/billetto
Restkarten an der Abendkasse (öffnet 1h vor Konzertbeginn)
Freie Platzwahl!
 

WICHTIGE HINWEISE 
+++ 3G-Veranstaltung + FFP2-Maske+++
Das Konzert findet nach jetzigem Planungsstand unter der 3G-Regelung + FFP2-Maske statt, d.h. Zutritt nur für Geimpfte/Genesene oder mit aktuellem Schnelltest.
Unabhängig vom Impf-/Genesenenstatus empfehlen wir allen Besucher:innen einen kostenfreien Schnelltest vor Ort in unserem Testzentrum Test4Culture, seien Sie hierfür bitte ca. 45min-1 h vor Vorstellungsbeginn vor Ort und buchen Sie vorab einen Termin: www.elisabeth.berlin/terminbuchung
Unsere aktuellen Corona-Regeln finden sich hier.

 

Zu [love] (aus: PHONEME)

Die im Neuen Testament, in Matthäus 22.39, zu findende Maxime des Handelns „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ weist in seiner universellen ethischen Forderung über die Bibel und das Christentum hinaus. Die 1980 in Oldenburg geborene, heute in Berlin lebende Komponistin Sarah Nemtsov hat ausgehend von diesem Bibelzitat einen umfassenden Werkzyklus gestaltet: Ihre Komposition PHONEME für fünf Gesangsstimmen und sechs Instrumente ist aufgeteilt in sieben Teile, die jeweils ein Wort der englischen Übersetzung dieses Zitats „love your neighbour as you love yourself“ als Titel haben. PHONEME wurde 2018 in Tel Aviv vom Ensemble Meitar und den Vocalsolisten Stuttgart im Rahmen des Kulturprojekts Crossing Borders uraufgeführt.

Gerade in Israel öffnet dieses Motto des Grenzüberschreitens ein weites Spektrum an Assoziationen und Bedeutungsfeldern – historische, soziale, religiöse, politische, geografische. Es sei ihr bei der Vorbereitung von PHONEME sehr wichtig gewesen, so Sarah Nemtsov, vielfältige Bezüge herzustellen: Was bedeutet es, Grenzen zu überschreiten? Die Komponistin wollte die Aspekte, die sich bei diesem Thema ergeben, hinterfragen und im besten Fall Perspektiven eröffnen. „Es war eine schwierige Arbeit, selbstverständlich auch schmerzhaft. Aber ich suchte nach Utopien, nach Hoffnung“, hat Sarah Nemtsov in einem Interview 2018 gesagt. Ein Hinweis auf diese Intention bieten die Gesangspartien in PHONEME. Sie haben keinen sprachlich konkreten Text, sondern bestehen aus Phonemen unterschiedlicher Sprachen, wie der Titel bereits andeutet. Der Gebrauch von Phonemen weise auf Grenzenlosigkeit hin, so die Komponistin. Und – dies könnte hinzugefügt werden – er öffnet einen Raum, der nicht vorbelastet ist von kulturellen Prägungen und Parteinahmen. Sarah Nemtsov versteht die für die Gesangspartien eingesetzten Phoneme „als Zeichen sowohl unserer Verbundenheit als auch unserer Isolation, unserer Sprachlosigkeit als auch der vielfältigen Kommunikationsweisen, von Unverständnis auf der einen Seite und Empathie auf der anderen.“

Bis auf das letzte Stück [yourself], bei dem alle Instrumente aus dem Kammerensemble und alle Vokalpartien eingesetzt werden, hat jedes Stück aus PHONEME eine eigene Auswahl in der Besetzung, jeweils eine Teilmenge aus dem Gesamtensemble. Das erste Stück [love] ist für Klaviertrio geschrieben. Sarah Nemtsov charakterisiert es als „ziemlich dunkel, zornig“. Sie umschreibt es mit den Begriffen „Attacke, Nachhall, Ausschwingen“, es gehe um „Extreme und Empathie“. Tatsächlich bestimmen zu Beginn perkussive Bartók-Pizzicati das Spiel der beiden Streicher. Auch die brüsken Einwürfe des Klaviers, dessen Saiten teils mit Haarklammern und Haftgummi präpariert sind, haben perkussiven Charakter. Die Interaktionen der drei Instrumente sind tendenziell konfliktreich, dynamische Bewegungen und geräuschhafte Strukturen herrschen vor. Erst allmählich ergeben sich akkordische Fortschreitungen und ein gemeinsames Pulsieren. Die beiden Streichinstrumente Violine und Violoncello spielen vorwiegend auf der vierten Saite, somit auf der tiefsten, was dunkel gefärbte Klänge hervorbringt. Nur selten geht es in den Streichern in die höheren Register. Wenn dies erfolgt, dann nicht im vollen Ton, sondern in geräuschhaften und körnigen Nuancen. In der zweiten Hälfte des Stücks treten rhythmisch bewegte Einwürfe auf, was Nemtsov als „eine Art Tanzen“ beschreibt. Diese Entwicklung bricht jedoch plötzlich ab, die rhythmisch bewegten Strukturen im Zusammenspiel lösen sich auf. Jedoch ist zu bemerken, dass die einzelnen Instrumente, jedes auf seine Weise, die gemeinsamen dynamischen Impulse weiterführen. Dies äußert sich beispielsweise im Violoncello in kreisenden Bewegungen und im Klavier in abschattierten Fortschreitungen. In diesem Eingangsstück [love] des Zyklus PHONEME bieten sich Ausblicke auf Versuche gemeinsam gestalteter Mitwirkung aller drei Instrumente, aber auch auf Konflikte.

Eckhard Weber

 

Veranstalter: Freunde der Boulangerie e.V. in Kooperation mit dem Kultur Büro Elisabeth
Gefördert durch: Neustart Kultur, Ernst von Siemens Musikstiftung, Rusch-Stiftung

Foto © Steven Haberland